Kapitel 12

Kapitel 12

Der Kater Rosaurus will König der Wälder werden

Hochmuth
Thut selten gut.

Das Kind, welches der Löwe gefressen hatte, war niemand anders als die kleine Hanne. Dorte hatte sie wie gewöhnlich sorgsam angekleidet, gewaschen und gekämmt, um sie in die Klein-Kinderbewahrschule zu bringen. Sie hatte ihr auch ein Taschentuch mitgegeben, was sie wohl konnte, da Wilhelm deren so viel gestohlen hatte. Hanne aber wollte nicht in die Bewahrschule gehen, sondern lieber auf der Straße spielen; sie war noch immer ein ungehorsames Kind, und als die Schwester mit ihr auf dem Wege war, riß sie sich los von deren Halten und lief weg. Sie hatte sich im nahen Gebüsch verstecken wollen, bis Dorte selbst in die Schule gehen mußte; dann wäre sie während mehrer Stunden ganz ohne Aufsicht gewesen. Hannchen wußte nicht, daß man nicht davon laufen müsse vor dem Löwen, und als sie das große Thier erblickte, war sie trotz ihrem Schrecken auf nichts als auf ihre Flucht bedacht. Sie riß aus, so schnell die vor Angst zitternden Füße sie tragen konnten, aber der Löwe hatte sie mit zwei Sprüngen erreicht; er mußte noch hungrig sein trotz des erlegten Schafs, bei dessen Verzehren seine Verfolger ihn gestört hatten. Mit seiner großen Tatze schlug er das Kind zu Boden und bald war sie mit Haut und Haaren verspeist.
Der Ungehorsam wird immer bestraft, auch wenn keine Löwen frei im Walde herum laufen!
Der große Löwe wurde nun ausgestopft und im Lustschloß der Prinzessin aufgestellt. Er stand im Hausplatz, und wer zur Hausthür hereintrat, bewunderte das schöne Thier. Rosaurus erfreute sich ganz besonders an demselben; er kletterte an dem Schwanz hinauf, setzte sich auf des Löwen Kopf, zaußte in dessen Mähnen herum und ergötzte durch seine wunderlichen Sprünge und Geberden die Prinzessin und deren Freundinnen.
Wenn Rosaurus auf des Löwen Haupte saß, so kamen ihm oft wunderliche Gedanken; es war, als ob der Muth des großen Todten ihm durch die Glieder ströme, er bekam Lust, auch ein König der Wälder zu werden. "Ich verbringe", sagte Rosaurus zu sich selbst, "hier meine Tage in Müßiggang; wenn ich durch meine Sprünge eine lachlustige Jugend unterhalte, so habe ich meinen Beruf erfüllt. Ich führe eigentlich ein wahres Schlaraffenleben; mir fliegen, so zu sagen, die gebratenen Tauben in den Mund, während die Natur mir List und Geschicklichkeit verliehen hat, sie lebendig zu fangen. Ich hänge ab von den Launen einer kleinen Prinzessin, ich bin gebannt auf die weichen Teppiche der fürstlichen Zimmer, während die ganze große Welt mir offen steht und Millionen von Mäusen herumlaufen, die eigentlich nur für mich geschaffen sind. Ich bin ein Sklave und könnte so gut frei sein. Im Wald, wo alle Thiere froh und vergnügt herumklettern, muß ich allein Fesseln tragen und werde an einem rosa Atlasband gehalten. Nein! das geht nicht länger so. Ich bin zwar noch nicht ein ganz großer ausgewachsener Kater, aber ich fühle doch schon Kraft und Muth genug, um meine goldenen Fesseln zu brechen und mich selbst zu ernähren; ich will ein freier Kater sein!"
Nach diesen Betrachtungen erwartete Rosaurus nur die Gelegenheit, aus dem Lustschloß zu entkommen, die sich auch leicht fand, da das erste offene Fenster im Parterre ihm zu seiner Flucht behülflich war; er bewerkstelligte dieselbe am frühen Morgen, und eilte sogleich, aus Furcht, daß man ihn bald einfangen würde, in den tiefsten Wald. Er hatte noch kein Frühstück genossen und freute sich, dasselbe zum ersten Mal in seinem Leben sich selbst zu erwerben. In den Gipfeln der Bäume erblickte er Nester; das Wasser lief ihm in dem Mund zusammen beim Gedanken an die zarten Vögelchen, die er knacken wollte; aber ach! als er die Bäume erklettert hatte, fand er die Nester leer, es war die Brutzeit vorüber. Nachdem er zu verschiedenen Malen auf ähnliche Weise getäuscht worden, nahm er sich vor, lieber den Mäusen nachzugehen. Er wußte sehr wenig Bescheid im Wald, kannte also nicht die mäusereichen Distrikte und hielt es für das Beste, sich auf die Lauer zu legen. Es war ein starker Thau gefallen und Rosaurus hatte ganz nasse Füße bekommen; er suchte also ein trockenes Plätzchen unter einem großen Baum, wo mehrere Mäuselöcher ihm einige Hoffnung auf Erfüllung seiner Wünsche eröffneten; dort leckte er seine Pfötchen, putzte sich das Kinn, und machte eine sehr sorgfältige Toilette, denn er meinte, ein freier Kater müsse auch auf eine anständige Weise einhergehen.
Während dieser Beschäftigung hörte er etwas neben sich rascheln "eine Maus", dachte er aber nein, es war ein anderes niedliches Thier. Gelb der Rücken und weiß die Brust, zierlich der Bau. Es war ein Wiesel. Beide Thiere freuten sich, Bekanntschaft mit einander zu machen; sie schlossen Freundschaft. "Lieber Freund", sagte das Wiesel, "wenn du mich lieb hast, so entferne dich von hier; wir befinden uns auf meinem Mäuserevier; ich habe noch nicht gefrühstückt und wenn mein Wild dich so schön schnurren hört, da bleibt es in den Höhlen vergieb mit Freunden macht man nicht Umstände."
Rosaurus hatte gemeint, alle Mäuse wären nur für ihn geschaffen und siehe, da war ein Nebenbuhler; schnell eilte er nach einem andern Platz; die Sonne hatte den Thau getrocknet und er schlich im zarten Grase so leise und weich einher, wie auf dem fürstlichen Teppich. "Hier ist mir gewiß das Glück hold", dachte er. Da bemerkte er plötzlich ein wunderliches Geschöpf; es war ein rundes, ganz mit Stacheln bedecktes Thier, welches einen sehr kleinen Kopf und sehr kurze Füße hatte; es war ein Igel. "Was willst du?" frug derselbe mit sanfter Stimme; "du weißt wohl nicht, daß du hier auf meinem Mäuserevier bist; habe die Güte, dich zu entfernen, denn mich hungert"s. Ich laure schon den ganzen Morgen vergebens auf ein Frühstück."
Rosaurus eilte weiter; er war sehr hungrig; an einem Bergabhang hoffte er Schutz vor den heißen Strahlen der Sonne und eine Maus zu finden. Kaum dort angelangt aber vernahm er eine tiefe grobe Stimme, welche aus einer Höhle hervortönte, und die mit scharfen Zähnen versehene Schnauze eines Fuchses ließ sich sehen. "Mach, daß du fort kommst, du mauselustiges Thier; das Mäusenest in der Nähe habe ich nicht etwa so lange für dich aufgespart; wenn ich kein besseres Mahl erwischen kann, so sollen dessen Bewohner mir gar nicht übel schmecken. Der Hunger ist der beste Koch!"
Rosaurus schlich betrübt weiter; er, der gemeint hatte, die Mäuse wären nur für die Katzen geschaffen, er fand nun, daß noch so viele andere Thiere auf diese Speise angewiesen waren. Sein Muth sank immer mehr; als er müde sich auf einen Baumstummel setzte, vernahm er ein klägliches Schreien ein Sperber hatte eine Maus gefangen und verzehrte dieselbe auf einem benachbarten Zweig.
Der Abend brach ein und Rosaurus war noch nüchtern. Es war dunkle Nacht und dichte Wolken hatten sich über dem Himmel gelagert und verhüllten Mond und Sterne; ein fernes Donnern ließ sich vernehmen und Rosaurus suchte Obdach hinter der verfallenen Mauer eines alten Thurmes. "Vielleicht läuft mir ein Mäuschen in den Weg, welches Schutz sucht, wie ich." So dachte Rosaurus und sollte abermals getäuscht werden. Eine große Eule hatte dort ihr Nest aufgeschlagen und Rosaurus fühlte plötzlich den krummen Schnabel auf seinem Rücken. Die Eulen hassen die Katzen von Natur, weil sie von Mäusen leben, wie sie selbst; diese hier hatte noch obendrein Junge, denen Rosaurus gefährlich werden konnte.
Erschrocken eilte der arme Kater von dannen; die Eule hatte ihm eine tiefe Wunde auf dem rechten Schenkel beigebracht und diese schmerzte. Der Regen strömte herab und Rosaurus befand sich auf freiem Feld; er fühlte sich sehr unglücklich. Was war aus seinen Träumen von Freiheit geworden? er, welcher ein König der Thiere hatte werden wollen, was war er jetzt? Ein gedemüthigtes nasses Kätzchen, ohne Obdach, ohne Speise, das sich nicht mehr nach Hause finden konnte. Ach, er mochte wohl sehr weit von Hause entfernt sein; wie war er müde! Er streckte sich ins nasse Gras und sein klägliches Miau mußte alle Mäuse verscheuchen, wenn der Regen das nicht schon gethan hätte. Zuletzt verstummte auch dieses Miau; Rosaurus lag erstarrt und ohnmächtig und alles Bewußtsein war von ihm geschwunden. Armer Rosaurus! das war ein schreckliches Ende seines ehrgeizigen Strebens.
Die Nacht war vorbei, der Regen hatte aufgehört, die Sonne ging auf, die Vögel zwitscherten, die Regenwürmer krochen hervor; die Feldmäuschen streckten ihr spitzig Näschen aus den Löchern, aber Rosaurus merkte nichts davon. Da kam ein kleines Mädchen daher, es war Dortchen, welche Etwas nach dem fürstlichen Lustschloß zu tragen hatte; sie sah Rosaurus am Wege liegen und erkannte ihn an dem abgebissenen Schwänzchen; denn an etwas Anderem hätte sie ihn nicht erkennen können, so häßlich, schmutzig und zerzaußt sah er aus. Sie nahm das erstarrte Thier in ihren Mantel und wärmte es; dann trug sie es zur kleinen Prinzessin. Rosaurus schlug die Augen auf, ihm war es, als habe er einen schweren Traum gehabt, nur der große Hunger, den er fühlte, sagte ihm, daß es kein Traum gewesen sei. Aber da stand auch schon die warme Milch mit Bisquit; während er fraß, wurde die Wunde ausgewaschen und mit kaltem Rahm benetzt; dann trug man Rosaurus in sein weiches Bettchen und deckte ihn mit warmen Tüchern zu. Er schlief ein.
Als er erwachte, fühlte er sich neu gestärkt, alle Sehnsucht nach der Freiheit war geschwunden, er spürte nichts mehr von Gelüsten ein König der Wälder zu sein und empfand mit großem Behagen die Annehmlichkeit seiner Hofexistenz. Er nahm sich vor, dieselbe nicht mehr freiwillig aufzugeben, und die unsichere Mäusejagd nicht mehr höher zu stellen als die Süßigkeiten, welche der Prinzessin weiße Hand ihm stündlich reichte.

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